Mal d'afrique oder warum ich Kenya liebe - ein paar Gedanken zum Jahresende
Von Beginn unseres
Kenya-Aufenthaltes war ich von diesem grossartigen Land mit seinen Weiten,
seinen grandiosen Landschaften und der sagenhaften Tierwelt begeistert. Aber
die Angst vor einer gefährlichen Krankheit, einem Un- oder Überfall,
irgendetwas Schlimmem, das uns widerfahren könnte, hatte sich so sehr in meinen
Nacken gefressen, dass ich sie niemals ganz abschütteln konnte und mich einfach
nicht traute, abgesehen von kurzen Momenten, wirklich zuzugeben, dass es uns
gut geht und es mir gefällt. Jetzt, nach 1 ½ Jahren ist diese Angst zwar immer
noch irgendwo ansässig, aber nicht mehr so dominant, und vor allem hindert sie
mich nicht daran zu wissen, dass ich hier glücklich bin und mir im Augenblick
kein besseres Leben wünschen kann.
Die Franzosen nennen
es mal d’afrique, eine Krankheit, die
mich zweifellos befallen hat und die auf einer unerklärlichen (oder vielleicht
auch ganz simpel zu erklärenden) Sehnsucht nach diesem Kontinent fusst. Wer einmal
einer Formation von Flamingos beim Anflug eines Kratersees auf Central Island
im Lake Turkana zuschaute, wer das Erwachen eines Morgens, wie von Wasserfarben
gemalt, durch das Fliegengitter im Samburu bewunderte, wer nachts durch die
Zeltwand das Brüllen eines einsamen Löwens verstand, wer diesen Geruch nach
Verwesung in der Maasai Mara kennt, wer in der Regenzeit mit einer Tasse Kaffee
auf der Veranda stand und diesem scheinbar unaufhörlichen Prasseln lauschte, das
die Umgebung in eine braune Dreckschleuder verwandelte, wer am Diani Beach den
föhnwarmen Wind in den Haaren fühlte und dazu die Harpunenfischer im Indischen
Ozean in all seinen türkisen Schattierungen beobachtete, wer die
sonnenverwöhnten, samtweichen und zuckersüßen Apfelmangos schmeckte, wer unter
dem ausladenden Dach der Fieberakazie seinen Mittagsschlaf hielt, wer eine
blühende Kaffeeplantage mit einer von Schnee bedeckten Buschlandschaft
verwechselte, wer die unglaublich geschickten Colobus monkeys auf dem
Florettseidenbaum beim Blumenpflücken beobachtete, wer eine Gepardenfamilie auf
der Jagd durch das hüfthohe gelbe Savannenmeer begleitete, wer die Hitze der
Sonne über der staubtrockenen Ebene des Amboseli spürte, wer die goldene
Abendstunde im geschäftigen Nairobi durchfuhr, wer majestätische Giraffen und
erhabene Elefanten vor dem ewigen Kilimanjaro wandern sah, wer das Schnauben
von Gnus und Zebras in einer nicht gekannten Anzahl wahrnahm, wer auf den Ruf
der sozial aktiven Flusspferde im Mara River achtete, wer nach der kurzen
Dämmerung und einer verzweifelten Fahrt den Abend bei tanzendem Feuerschein im
Meru NP ausklingen ließ oder kreisende Adler am unantastbaren afrikanischen Himmel
über Nanyuki erkannte, will sich mit nichts weniger mehr zufrieden geben, nirgends sonst
mehr sein und sich sein Leben an keinem anderen Platz vorstellen.
Klischees? Möglich.
Aber unheimlich schöne, die ich hier erlebe. Fühle, schmecke, rieche, sehe und
höre.
Kenya ist ein grosses
Land. Ein Land mit weitem Himmel, solider Erde und heisser Sonne. In vielfacher
Beziehung grösser als unser Leben und vielleicht der einzig übriggebliebene
Platz auf unserem Planeten, wo wir uns noch frei fühlen können. Es mag paradox
klingen, wo wir uns mit Askaris (Wächtern) umgeben und oft von einer
Sicherheitsinsel zur nächsten hüpfen, aber was fehlt, ist dieser Druck. Stattdessen
gibt es Grosszügigkeit.
Viele Erwartungen der
westlichen Welt, das stets tadellos Funktionieren-zu-müssen, fühle ich hier nicht.
Dinge werden nicht jetzt sofort erledigt, es gibt nicht zu jeder Zeit alles zu
kaufen und irgendwie scheint ständig etwas kaputt zu gehen. Wir streben nicht nach
diesem Überfluss, sondern sind meist schon zufrieden damit, wenn der heutige
Stand gehalten werden kann.
Es gibt hier keinen
Postboten, und wir haben keinen Briefkasten. Damit werden wir nicht jeden Tag
zugemüllt mit Prospekten, Bettelbriefen, Gratiszeitungen und Informationen, die
wir weder wollen noch brauchen.
Es sind einfache
Werte, die wir leben und konservieren, und mit der komplexen ‚realen’ Welt hat
unser Dasein vielleicht nur mehr wenig zu tun. Umso mehr geniesse und schätze ich es, jetzt
in Kenya sein zu dürfen. Ja, wir gehen Kompromisse ein und akzeptieren auch
Vieles, obwohl es uns nicht gefällt, weil wir es nicht ändern können.
Wenn ich aber abends
vor die Haustür trete, den warmen Boden an den Füssen spüre, dem Konzert der Grillen lausche, die Ibisse laut jammernd
über mich hinwegfliegen, die Sonne ihre letzten wärmenden Strahlen in den
Garten schickt, die Hörnchen über die elektrischen Leitungen balancieren, der
Frangipani süss duftet, die weiche Luft sich sanft um meine blossen Arme legt, dann
ist es das, was ich will. Und alles für einen Augenblick gut. Das Leben schön
und unser Hiersein richtig.
Tutaonana
Eure African queen
Irène
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